Mai 2025: Gerichtsverfahren gegen VW eröffnet
... Priester Ricardo Rezende. Ihm ist es zu verdanken, dass die sklavenähnlichen Arbeitsverhältnisse auf der VW-Rinderzuchtfarm in der 1980er Jahren nicht in Vergessenheit gerieten.
30. Mai 2025 Klage gegen VW eingereicht
Langsam scheint - nach Jahrzehnten – das Ende einer unrühmlichen Geschichte in der VW-Historie – nahe zu sein.
Am vergangen Freitag, dem 30.Mai, erhob die Staatsanwaltschaft Anklage vor dem Richter Otávio Bruno da Silva Ferreira vor dem Arbeitsgericht in Redenção im Bundesstaat Pará. Als Zeugen waren u.a. vier ehemaligen Landarbeiter, Pedro Valdo, Raul Batista, Raimundo Batista, José Ribamer (damals 17 Jahre alt) eingeladen. Es ging um die Vorkommnisse auf der Rinderzuchtfarm in den 1970er/80er Jahren, der Zeit der Militärdiktatur. Das Grundstück umfasste 139.000 Hektar, etwa 91 % der Fläche der Stadt São Paulo. Der Vorwurf gegen den VW-Konzern: Menschenhandel, Sklavenarbeit, menschenunwürdige Arbeits- und Lebensbedingungen. Gefordert werden eine Entschädigung in Höhe von 165 Millionen R$. (umgerechnet ca. 25 Millionen Euro).
Der Vertreter des VW-Konzerne, José Antônio Tiro Rodriguez, wies erwartungsgemäß alle Vorwürfe zurück: „Volkswagen hat alle Vorwürfe von Unregelmäßigkeiten untersucht, aber keine festgestellt oder bestätigt.“ Er verneinte, dass VW von den Arbeitsbedingungen und dem Umgang mit den über Subunternehmen („gatos“- Katzen) engagierten Arbeitskräften Kenntnis hatte.
Diese Vermittler hatten mit dem Versprechen auf attraktive Löhne in abgelegenen Gemeinden Arbeiter angeworben, um bei der Rodung des Waldes zur Gewinnung von Weideland mitzuhelfen.
Bei ihrer Ankunft auf der Farm wurden die Landarbeiter jedoch einem System der Ausbeutung unterworfen, das Zwangsverschuldung, erschöpfende Arbeitszeiten und Einschränkungen der Freiheit umfasste.
Aussagen beschreiben Schuldknechtschaft
Dies bestätigte bei seiner Befragung auch der inzwischen 66-jährige Landarbeiter Raul Batista de Souza. Er schilderte detailliert, wie das System funktionierte: Alles was benötigt wurde wie Töpfe, Lebensmittel, Medikamente und die Planen, die für die Unterkünfte verwendet wurden, hatte man im „Laden“ des gato zu kaufen. .
„Alles wurde in einem Heft notiert, um bei der Abrechnung abgezogen zu werden, die der ‚Gato‘ durchführte. Ich wusste nicht, wie viel was kostete.“ Zu den Arbeitsbedingungen sagte er, dass er von Montag bis Sonntag arbeitete und dass es keine Toiletten gab.
Pedro Valdo Pereira Vasconcelos, der damals ebenfalls als 17-Jähriger auf der Farm arbeitete und ebenfalls jetzt befragt wurde, bestätigte diese Aussage. Lebensmittel wie Reis, Bohnen und Fleisch kaufte man ebenfalls beim „gato“ bzw. dessen Laden und er betonte zusätzlich die unmenschlichen Arbeitsbedingungen: .
„Wir standen um 4 Uhr morgens auf, um Essen zuzubereiten. Um 6 Uhr ging es zur Arbeit und um 18 Uhr kamen wir zurück. Wir gingen zu Fuß zur Arbeit. Wir arbeiteten von Montag bis Samstag und manchmal auch am Sonntag“ so Pedro Valdo. Als man die Farm verlassen wollte, um in sein Heimatdorf zurückzukehren „ sagten sie uns, dass kein Guthaben vorhanden sei.“
Rückblick
Mehrere Versuche einer außergerichtlichen Einigung scheiterten, auch eine Unterschriftenaktion der Brasilieninitiative Freiburg e.V., in der VW aufgefordert wurde zu den Verfehlungen zu stehen, blieb erfolglos. Sowohl das Stammhaus in Wolfsburg – reagierte überhaupt nicht – als auch Volkswagen do Brasil lehnen bis heute jede Verantwortung ab. Die dokumentierten Verbrechen werden auf Subunternehmen abgeschoben, sich selbst attestiert man eine weiße Weste.
Der Verweis von VW auf Verjährung wird wohl ins Leere gehen, da Verstöße gegen Menschenrechte unverjährbar sind und Menschenhandel bzw. Sklavenarbeit dazu gehören .
Dem Arbeitsgericht liegen bereits mehrere Dokumente vor, in einem davon heißt es: "Auf der Volkswagen-Farm wurde das sogenannte 'Barracado-System„ eingeführt, durch das die Arbeiter gezwungen waren, alle für ihre Arbeit und ihren Lebensunterhalt notwendigen Güter zu überhöhten Preisen vom Arbeitgeber zu erwerben, was die Aufnahme von ‚Schulden‘ erforderte, die den Wert des zu erhaltenen Lohns überstiegen, sodass eine Rückzahlung und die Freilassung des Schuldners unmöglich waren“…..oder ….. „Die verschuldeten Arbeiter wurden durch physische und moralische Nötigung daran gehindert, die Volkswagen-Farm zu verlassen…..
Bereits in den 1980er Jahren wurden die Geschehnisse notariell beglaubigt, festgehalten und eine Untersuchung der Militärpolizei von Pará bestätigte die Anschuldigungen der Arbeiter.
Die ersten Vorwürfe gegen Volkswagen tauchten Ende der 1970er Jahre auf, als geflohene Arbeiter den Gewerkschaften der Landarbeiter und der CPT (Comissão Pastoral da Terra), einer mit der katholischen Kirche verbundenen Organisation, von den Verstößen berichteten. Es war und ist vor allem dem Priester Ricardo Rezende Figueira, damals Koordinator der CPT in der Region Araguaia und Tocantins, zu verdanken, dass die Vorwürfe dokumentiert wurden und auch nicht bis heute in Vergessenheit gerieten. Die Vorwürfe wurden 1983 in der Presse veröffentlicht und entwickelten sich zu einem internationalen Skandal. In Deutschland verbreitete auch die Brasilieninitiative Freiburg e.V. unter anderem in ihrem Magazin BrasilienNachrichten die Vorkomnisse.
Um die Vorwürfe zu entkräften lud VW damals u.a. Abgeordnete ein , um sich ein Bild von der Farm zu machen."Volkswagen hatte vorbereitet, was wir sehen sollten, nämlich die Häuser des Firmensitzes. Es waren gut gebaute Häuser für die festangestellten Mitarbeiter. Das wollten sie uns zeigen, den Swimmingpool, den Club, die Weiden und das Vieh. Sie wollten nicht, dass wir die Arbeiter sahen", erzählt Ricardo Rezende Figueiredo, der heute Professor an der UFRJ (Bundesuniversität von Rio de Janeiro) ist, wo er die Forschungsgruppe für zeitgenössische Sklavenarbeit koordiniert.
Schon damals bestätigte ebenfalls ein Gutachten des Sekretärs für öffentliche Sicherheit von Pará die „Verantwortung durch Unterlassung“ von Volkswagen und forderte auch den damaligen Gouverneur von Pará, Jader Barbalho, zum Handeln auf. Nichts geschah.
Trotz der erdrückenden Beweislage wurde Volkswagen bis heute nicht vor Gericht gestellt. Nach Jahrzehnten besteht jetzt die Aussicht, dass den noch lebenden Opfer Gerechtigkeit widerfahren wird.
Wir sind optimistisch dass VW durch das zu erwartenden Gerichtsurteil endlich seiner Verantwortung gerecht wird. Es ist ein Skandal wie VW sich seit Jahren sich dagegen wehrt.
Wir bleiben dran!
Auf unserer Webseite www.brasilieninitiative.de/vw berichten wir kontinuierlich über den weitern Fortgang und auch in unserem Magazin BrasilienNachrichten geben wir immer mal wieder einen Überblick.
Hier noch drei Videos in portugiesischer Sprache:
https://reporterbrasil.org.br/2025/05/volkswagen-encara-denuncias-escravidao-fazenda-ditadura/
https://reporterbrasil.org.br/2025/05/conheca-a-fazenda-volkswagen-denunciada-trabalho-escravo/
https://www.dw.com/pt-br/volkswagen-no-banco-dos-r%C3%A9us-por-trabalho-escravo-no-brasil/a-72745742
Die Fotos stammen von Fernando Martinho, Réporter Brasil, die Zeichnung von Ricardo Rezende.